"Fahrt mit der Buslinie Nummer 2 54 Minuten bis zur Haltestelle Buu Dien Hadong", dass diese Anweisung nicht so einfach zu befolgen ist wie gedacht, fällt Lisa und mir erst jetzt im Bus auf. Es gibt in Hanoi zwar viele Bushaltestellen – nur haben diese keine Namensschilder. Dass auch auf die genaue Zeitangabe von 54 Minuten kein Verlass ist, merkt man spätestens, wenn man in einen der vielen Staus in Hanoi festsitzt. Also versuchen Lisa und ich, uns bei den Fahrgästen im Bus – erst vergeblich auf Englisch, dann auf unverständlichem Vietnamesisch – zu erkunden wo wir aussteigen müssen.
"Buu Dien Hadong!" sagt mir plötzlich eine junge Dame und zeigt mit dem Finger auf den Ausgang. Alles klar – hier müssen wir raus. Wir steigen aus und es regnet in Strömen – im gleichen Moment werden wir von aufdringlichen Motorrad-Taxifahrern bedrängt, die uns sonst wohin fahren wollen. "Wo ist Chau?", "Sind wir hier richtig?" Bei einem Blick auf die Uhr wird uns schlagartig klar, dass wir an der falschen Haltestelle ausgestiegen und nun mitten im Nirgendwo sind. Ein paar vergebliche Versuche, die nachfolgenden Busfahrer zu überreden, uns wieder mitfahren zu lassen (die Hanoier Busfahrer halten nicht gerne an, wenn sie im Zeitverzug sind) und 25 Minuten später kommen wir doch noch an der richtigen Haltestelle an. Busfahren in Hanoi ist ein richtiges Abenteuer.

Chau fragt uns ein paar Minuten später ob wir mit ihr das Dorf anschauen wollen. "Natürlich!" - darauf freue ich mich schon die ganze Zeit. Beim Spazieren über den lokalen Markt mit Chau, ihrer kleinen Nichte und Lisa werden wir mit freundlichen, manchmal mit verschmitzten Lächeln beobachtet. "Ist er dein Freund?" wird Chau von drei älteren Damen gefragt und winkt kichernd ab.


Wir betreten ein traditionelles vietnamesisches Haus. In der Mitte des eine Etage hohen, mit gekacheltem Dach bestückten Hauses befindet sich der Hauptraum. Ein riesiger Altar nimmt fast zwei Drittel des gesamten Platzes ein und ist bestückt mit Fotos der toten Familienangehörigen und mit Opfergaben (wieder Süßigkeiten, aber auch Schnaps und brennende Zigaretten als Raucherstäbchenersatz). Ho Chi Minh hängt oben an der Wand – wie in vielen Häusern Vietnam. Rechts neben dem Altar befindet sich eine Sitzecke auf der Chaus Onkel und Geschäftspartner, von uns völlig unbeeindruckt, ihren Geschäften nachgehen. Links neben dem Altar befindet sich ein großes Bett aus Bambus. Wir trinken eine Tasse bitteren Tee, da fällt mir ein Computer im Nebenzimmer auf. Chaus Onkel erzählt uns daraufhin stolz, dass die Familie Textilien für eine große Supermarktkette produziert – die Designs werden mit MS Paint erstellt. Anschließend führt er uns hinter das Haus und wir staunen, als wir eine große Lagerhalle für Kleider sehen. Sieben Menschen arbeiten hier an industriellen Strickmaschinen – eine kleine Textilfabrik im Haus.

Zurück in Chaus Haus bereiten wir zusammen das Mittagessen zu. Reis, Möhren, Bohnen, Ei und Schweinefleisch. Gekocht wird in einer kleinen separaten Hütte – die winzige Kochstelle wird mit Kohle beheizt, die gleich nebenan liegt. Ein kleiner pelziger Hund wärmt sich neben der Kochstelle. Ob sie mit dem Hund auch spielt? "Nein – nur füttern und pflegen". Hund kommt in Vietnam auch ab und zu auf den Tisch. Hundefleisch ist nicht viel teurer als Rindfleisch, aber "vielleicht 30 Prozent teurer als Schweinefleisch" sagt Chau.
Beim Essen will mich Chaus Opa unbedingt zu einem Schnaps überreden. "Als vietnamesischer Mann muss man Schnaps trinken". Da ich aber gar keinen Alkohol trinke, erwidere ich: "Zum Glück bin ich kein vietnamesischer Mann". Wir lachen zusammen und ich bin um das Betrunkenwerden noch einmal herumgekommen. Nachdem er ein bis zwei Schnaps getrunken hat, fragt mich ihr Opa, ob ich verheiratet sei. Nach meiner Verneinung eröffnet er mir: "Du siehst so aus, als hättest du etwas Angst vor Frauen". Ich schmunzle und überlege, ob ein Fünkchen Wahrheit daran ist. Chaus Opa ist 76 Jahre alt und Dichter. Er sieht so aus, wie man sich einen typischen vietnamesischen Großvater vorstellt. Hager, freundliches Gesicht, langer Ziegenbart. Dazu noch ein dickes schwarzes Brillengestell und ein verschmitztes Lächeln.

Dann ab auf die Motorroller und hinein nach Hanoi. Wieder im Hotel angekommen kann ich langsam nachvollziehen warum Chau nicht in der Hektik der Großstadt oder im Ausland leben möchte, sondern in einem kleinen Dorf außerhalb von Hanoi.
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