Da sitzen wir nun zu zweit auf engen Sitzen in einem überfüllten Bus und fahren gespannt unserem Ziel entgegen. Ein Besuch bei Chau, einer 22 jährigen Deutschstudentin, und ihrer Familie in einem Dorf außerhalb von Hanoi. Mich interessiert, warum Chau, die Deutschlehrerin im Goethe-Institut Hanoi werden möchte, im Gegensatz zu vielen Vietnamesen nicht ins Ausland sondern auf ihrem Dorf und bei ihrer Familie leben will.
"Fahrt mit der Buslinie Nummer 2 54 Minuten bis zur Haltestelle Buu Dien Hadong", dass diese Anweisung nicht so einfach zu befolgen ist wie gedacht, fällt Lisa und mir erst jetzt im Bus auf. Es gibt in Hanoi zwar viele Bushaltestellen – nur haben diese keine Namensschilder. Dass auch auf die genaue Zeitangabe von 54 Minuten kein Verlass ist, merkt man spätestens, wenn man in einen der vielen Staus in Hanoi festsitzt. Also versuchen Lisa und ich, uns bei den Fahrgästen im Bus – erst vergeblich auf Englisch, dann auf unverständlichem Vietnamesisch – zu erkunden wo wir aussteigen müssen.
"Buu Dien Hadong!" sagt mir plötzlich eine junge Dame und zeigt mit dem Finger auf den Ausgang. Alles klar – hier müssen wir raus. Wir steigen aus und es regnet in Strömen – im gleichen Moment werden wir von aufdringlichen Motorrad-Taxifahrern bedrängt, die uns sonst wohin fahren wollen. "Wo ist Chau?", "Sind wir hier richtig?" Bei einem Blick auf die Uhr wird uns schlagartig klar, dass wir an der falschen Haltestelle ausgestiegen und nun mitten im Nirgendwo sind. Ein paar vergebliche Versuche, die nachfolgenden Busfahrer zu überreden, uns wieder mitfahren zu lassen (die Hanoier Busfahrer halten nicht gerne an, wenn sie im Zeitverzug sind) und 25 Minuten später kommen wir doch noch an der richtigen Haltestelle an. Busfahren in Hanoi ist ein richtiges Abenteuer.
Chau und ihr Bruder brausen bald mit ihren Motorrollern an und laden uns auf. Wir biegen von der Hauptstraße ab und sind gleich in einer anderen Welt. Auf den 15 Minuten Fahrt verschwindet die Großstadtszenerie immer mehr und wird durch Blicke auf weite Reisfelder und Wasserbüffel ersetzt. Wir werden herzlich von Chaus Mutter, ihrem Vater, dem Großvater und einer Cousine empfangen, obwohl sie alle mit der Vorbereitung des Tetfestes (das vietnamesische Neujahrsfest) beschäftigt sind. Wir beobachten gespannt wie Chaus Vater und Großvater traditionellen Klebreiskuchen zubereiten – eine Mischung aus klebrigen Reis, gepressten Bohnen und Schweinefleisch.
Chau fragt uns ein paar Minuten später ob wir mit ihr das Dorf anschauen wollen. "Natürlich!" - darauf freue ich mich schon die ganze Zeit. Beim Spazieren über den lokalen Markt mit Chau, ihrer kleinen Nichte und Lisa werden wir mit freundlichen, manchmal mit verschmitzten Lächeln beobachtet. "Ist er dein Freund?" wird Chau von drei älteren Damen gefragt und winkt kichernd ab.
Wir kommen zu einer alten, aber renovierten buddhistischen Pagode. Der Mönch serviert uns warmes Wasser und beantwortet bereitwillig unsere Fragen. 14 Jahre sei er schon hier und natürlich finanziert sich die Pagode ausschließlich aus Spenden. Er entschuldigt sich, als zwei Dorfbewohner kommen und Gebäck und Süßigkeiten opfern wollen. Diese werden dann an Tet den Kindern des Dorfes geschenkt. Wir reden mit Chau über Religion. "Meine Eltern sind Buddhisten, also bin ich auch eine Buddhistin... Aber ich komme nur einmal im Jahr zum Tetfest her". Zum Weihnachtssingen in die katholische Kirche des Dorfes gehen Chau und ihre Familie auch – sie singen dann "Oh Tannenbaum" (auf Vietnamesisch) und andere Weihnachtslieder. Wenn es um Religion geht, folgen viele Vietnamesen dem Motto "Je vielfältiger desto besser".
Als nächstes steht ein Besuch bei Chaus Oma und ihren Onkeln auf dem Programm. Die alte Dame hat 10 Kinder auf die Welt gebracht und hält mit ihrer ausstrahlenden Ruhe die ganze Familie zusammen. Sie hat noch die traditionell schwarz gefärbten Zähne. Die schwarze Beschichtung dient zum Schutz der Zähne und galt früher als Schönheitsideal. Heute findet man diesen Anblick kaum noch bei jungen Vietnamesinnen.
Wir betreten ein traditionelles vietnamesisches Haus. In der Mitte des eine Etage hohen, mit gekacheltem Dach bestückten Hauses befindet sich der Hauptraum. Ein riesiger Altar nimmt fast zwei Drittel des gesamten Platzes ein und ist bestückt mit Fotos der toten Familienangehörigen und mit Opfergaben (wieder Süßigkeiten, aber auch Schnaps und brennende Zigaretten als Raucherstäbchenersatz). Ho Chi Minh hängt oben an der Wand – wie in vielen Häusern Vietnam. Rechts neben dem Altar befindet sich eine Sitzecke auf der Chaus Onkel und Geschäftspartner, von uns völlig unbeeindruckt, ihren Geschäften nachgehen. Links neben dem Altar befindet sich ein großes Bett aus Bambus. Wir trinken eine Tasse bitteren Tee, da fällt mir ein Computer im Nebenzimmer auf. Chaus Onkel erzählt uns daraufhin stolz, dass die Familie Textilien für eine große Supermarktkette produziert – die Designs werden mit MS Paint erstellt. Anschließend führt er uns hinter das Haus und wir staunen, als wir eine große Lagerhalle für Kleider sehen. Sieben Menschen arbeiten hier an industriellen Strickmaschinen – eine kleine Textilfabrik im Haus.
Danach geht es weiter zu einem kurzen Besuch bei einem von Chaus Freunden. Wir werden wieder mit Tee versorgt und uns werden, wie schon oft bevor, Zigaretten angeboten. Was Chau so in ihrer Freizeit macht? "Sich mit Freunden treffen, auf die Felder fahren singen und picknicken."
Zurück in Chaus Haus bereiten wir zusammen das Mittagessen zu. Reis, Möhren, Bohnen, Ei und Schweinefleisch. Gekocht wird in einer kleinen separaten Hütte – die winzige Kochstelle wird mit Kohle beheizt, die gleich nebenan liegt. Ein kleiner pelziger Hund wärmt sich neben der Kochstelle. Ob sie mit dem Hund auch spielt? "Nein – nur füttern und pflegen". Hund kommt in Vietnam auch ab und zu auf den Tisch. Hundefleisch ist nicht viel teurer als Rindfleisch, aber "vielleicht 30 Prozent teurer als Schweinefleisch" sagt Chau.
Beim Essen will mich Chaus Opa unbedingt zu einem Schnaps überreden. "Als vietnamesischer Mann muss man Schnaps trinken". Da ich aber gar keinen Alkohol trinke, erwidere ich: "Zum Glück bin ich kein vietnamesischer Mann". Wir lachen zusammen und ich bin um das Betrunkenwerden noch einmal herumgekommen. Nachdem er ein bis zwei Schnaps getrunken hat, fragt mich ihr Opa, ob ich verheiratet sei. Nach meiner Verneinung eröffnet er mir: "Du siehst so aus, als hättest du etwas Angst vor Frauen". Ich schmunzle und überlege, ob ein Fünkchen Wahrheit daran ist. Chaus Opa ist 76 Jahre alt und Dichter. Er sieht so aus, wie man sich einen typischen vietnamesischen Großvater vorstellt. Hager, freundliches Gesicht, langer Ziegenbart. Dazu noch ein dickes schwarzes Brillengestell und ein verschmitztes Lächeln.
Nach dem Essen merken Lisa und ich, wie die Zeit verflogen ist. Wir müssen uns wieder auf den Weg machen. Zum Abschluss werden wir noch mit Klebreiskuchen, Mützen aus dem familieneigenen Hausladen und einem vom Opa selbst verfassten Gedicht beschenkt.
Dann ab auf die Motorroller und hinein nach Hanoi. Wieder im Hotel angekommen kann ich langsam nachvollziehen warum Chau nicht in der Hektik der Großstadt oder im Ausland leben möchte, sondern in einem kleinen Dorf außerhalb von Hanoi.
Donnerstag, 15. Februar 2007
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